«Der Bund», 18. 5. 2018
Verborgener Schatz eines Basler Pioniers
«Jungkfrawen sollen sich nit lassen hanzlen.» Vor einem halben Jahrtausend vom Strassburger Prediger Johannes Geiler erteilt, wäre dieser Ratschlag heute in abgewandelter Form aktuell: Niemand soll wider Willen gehanzelt werden. Was «hanzeln» bedeutet, hielt vor einem Vierteljahrtausend der Basler Gelehrte Johann Jakob Spreng auf einem Zettel fest: «betasten, oft und viel streicheln». Es war einer von fast 100’000 Zetteln, die meisten fein säuberlich in Folianten eingeklebt, um als Druckvorlage für ein «Allgemeines deutsches Glossarium» zu dienen.
Nur: Als Spreng 1768 starb, war sein Lebenswerk ungedruckt geblieben, und der Nachlassverwalter konnte nicht einmal das Manuskript verkaufen. Dafür blieb es in sicheren Händen, kam später in die Basler Universitätsbibliothek – und jetzt wird dieser Schatz gehoben: Eine Equipe unter der Leitung des pensionierten Deutschprofessors Heinrich Löffler entziffert die alte deutsche Schrift und erstellt eine Druckvorlage, die jedenfalls im Internet veröffentlicht wird. Bereits 2014 ist Sprengs «Idioticon Rauracum oder baseldeutsches Wörterbuch» als Buch erschienen, mit knapp 4000 Einträgen ein vergleichsweise schmaler Wurf.
Der Theologe Spreng war im akademischen Betrieb seiner Zeit ein Aussenseiter; Basel verhängte über ihn gar ein «freundeidgenössisches» Publikationsverbot, weil ein katholischer Pfarrer in Solothurn an einer geschichtlichen Abhandlung Anstoss genommen hatte. Immerhin konnte Spreng an der Universität historische sowie philologische Vorlesungen halten und bekam zuletzt eine Professur für Griechisch. Von seiner Arbeit am grossen deutschen Wörterbuch aber wussten nur wenige, bevor er mit einem Probedruck um Subskriptionen warb – offenbar ohne genügenden Erfolg.
Spreng wäre Johann Christoph Adelung zuvorgekommen, dessen «Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart» ab 1774 erschien. Der Adelung gilt als erstes wissenschaftliches Universalwörterbuch des Deutschen und damit als Vorläufer des Monumentalwerks, das die Brüder Grimm im Jahrhundert darauf in Angriff nahmen; fertig wurde der Grimm erst 1961. Der Spreng kann nun dank der Aufarbeitung den ihm gebührenden Platz in der Ahnenreihe einnehmen. Er hat etwa doppelt so viele Einträge wie der Adelung – ohne den Anspruch, das gängige Deutsch seiner Zeit zu erfassen. Die Sammlung enthält Wörter, die der Autor besonders interessant fand, vor allem mit Blick auf die Sprachgeschichte.
Etwa einen Viertel seiner Zettel kennzeichnete Spreng mit einem Sternchen, was bedeutete, dass er ihre Verbreitung begünstigen oder ihrem Verschwinden entgegenwirken wollte. Wäre das Wörterbuch damals erschienen, hiesse vielleicht heute die Marmelade Schachtelsaft, und wer andern Würmer aus der Nase zieht, wäre ein Zungenschrapper. «Hanzeln» trug kein Sternchen – verschwunden ist es ohnehin; im «Schweizerischen Idiotikon» findet man noch die Dialektform «hanzlen». Obwohl Sprengs Werk verborgen blieb, sind etliche seiner gestirnten Wörter heute allgemein gebräuchlich. Die an der Transkription beteiligte Suzanne de Roche Löffler nennt im Musterband zur jetzigen Publikation etwa: Abglanz, Hagelschlag, Handstreich, Heck, hissen, Hochgebirge, Hochwald, Leghenne, zubilligen/zuerkennen (Spreng: «Das Wort ist neu, aber unter den Herren Rechtsgelehrten sehr gelaüfig.»)
Auszüge aus Original und transkribiertem Musterband (mit Einleitung) sind im Juniheft des «Sprachspiegels» enthalten. Das gesamte Material wird in beiden Formen schrittweise auf E-Manuscripta.ch veröffentlicht (Suchwort «Spreng»). Die Universitätsbibliothek Basel zeigt von 31. Mai bis 1. September eine Ausstellung über Sprengs Leben und Werk sowie die Aufarbeitung seiner Wörterbücher.
© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)