«Der Bund», 1. 6. 2018

Wie Sprache Berge versetzt oder schützt

Wer in einer Landschaft wandert, kann einen Kompass brauchen. Wer sie verändern oder schützen will, dem kann im übertragenen Sinn ein Kompass helfen, einen für Umwelt und Gesellschaft gedeihlichen Weg zu finden. Und das geht nur, wenn man vorher denkt und redet, also mithilfe der Sprache. Dazu gibt es jetzt den «Sprachkompass Landschaft und Umwelt». Das im Berner Haupt-Verlag erschienene Buch trägt den Untertitel «Wie Sprache unseren Umgang mit der Natur prägt». Verfasst haben es der Linguist Hugo Caviola sowie die Ökologen Andreas Kläy und Hans Weiss, alle auch in Bern tätig.

«Kompass» wird hier als Metapher verwendet, als bildhafte Übertragung von der ursprünglichen Bedeutung auf eine neue. Ebenso sind viele Wörter, mit denen Raumplaner zu Werke gehen, Metaphern. Das fängt beim Raum an, den man sich draussen zuerst einmal vorstellen muss, um dann mit der Planung zu beginnen. Auch der Plan als Karte ist eine bildliche Darstellung und Aufteilung einer Fläche, obwohl er einer zusammenhängenden dreidimensionalen Realität gilt. Eingezeichnet werden oft auch Netze und Achsen, die kaum wie ihre sprachlichen Vorbilder aussehen, aber eine ähnliche Funktion haben sollen.

Metaphern greifen bestimmte Aspekte ihres Gegenstands heraus, eben zum Beispiel die Funktion, und blenden andere aus. Die Autoren legen nun anhand (vorwiegend amtlicher) Planungsunterlagen dar, dass die verwendeten geometrischen oder mechanischen Bilder die Verfügbarkeit der Natur und die Machbarkeit der Eingriffe betonen. Ausser Acht bleiben oft die natureigenen Aspekte wie Kreisläufe und Zusammenhänge von Wasser, Flora und Fauna – mit dem Resultat, dass ihre (Zer-)Störung erst hinterher erkannt wird.

So wurden Wasserläufe zu plangerechten Geraden «korrigiert», als wären sie falsch gewesen, und ihr Umland wurde «melioriert», also angeblich verbessert – für intensive Landwirtschaft und vermeintlich sichere Bauzonen, nicht aber für natürliche Lebenswelten. Nachdem man nachteilige Folgen erkannt hat, «renaturiert» man da und dort die Bäche. Bundesamtlich ist seit der Jahrtausendwende nicht mehr von Raumplanung die Rede, sondern von Raumentwicklung. «Entwickeln» war einst Handarbeit und galt Schriftrollen oder auch Wickelkindern. Dann entdeckte die «sich entwickelnde» moderne Wissenschaft Entwicklungsvorgänge in der Natur, und heute können sogar Eingriffe in die Natur als «Entwicklung» bezeichnet oder «verkauft» werden.

Die Autoren unterstellen den Planern nicht, diese verwendeten absichtlich ein verlockendes Vokabular, um ihre Vorhaben durchzusetzen. Vielmehr soll das Buch das Bewusstsein für die Scheuklappen-Wirkung der verwendeten Metaphern wecken – bei der betroffenen Öffentlichkeit wie bei den Machern selber: Diese sollen auf imponierende Fachsprache verzichten, die oft Sachzwänge vorgaukelt. Stattdessen sollen sie Klartext reden, auch um die Folgen des eigenen Tuns besser abschätzen zu können. «Entwicklung» wollen die Verfasser weder als Wort noch als Vorgang ächten, sondern beim Wort nehmen und so den Blick nicht nur auf Projektziele lenken, sondern auch auf Natur und Gesellschaft.

Das Buch ist klar geschrieben und erhellend illustriert. Es zeigt sprachliche Mittel, einer Darstellung einen bestimmten Dreh zu geben, einen «Deutungsrahmen» zu setzen (Linguisten nennen das «framing»). Hat also technokratische Expertensprache den Weg zu Bausünden geebnet? Das im Einzelfall nachzuweisen, wäre schwierig – und es wird gar nicht erst versucht. Ebenso wenig schlagen die Autoren eine «ökologisch korrekte» Sprache vor, nach dem Muster der «geschlechtergerechten». Letzterer freilich erweisen sie die Reverenz, indem sie bei beruflich oder anderswie Tätigen die Frauen eigens erwähnen, so bei «Sprachbenutzern und -benutzerinnen». Nur die «Akteurinnen» sind meistens vergessen worden – oder weggelassen, weil die Kritisierten vorwiegend Männer sind?

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)