«Der Bund», 13. 7. 2018

Wenn aus Wutbürgern Votebürger werden

Haben Sie heute schon gevotet? Wenn ja, dann wissen Sie sicher, dass man das «gevo-utet» ausspricht. Wenn nein, wissen Sie das wohl auch, aber Sie sollten das Voting noch üben, denn es soll nach dem Willen des Bundesrats zur staatsbürgerlichen Tugend werden, genauer gesagt zur möglichen Form, das Stimmrecht auszuüben. Es nennt sich dann E-Voting, aber eine andere Form als die elektronische gibt es beim Voting gar nicht, denn es ist etwas anderes als das Abstimmen. Hierzulande bedeutet abstimmen, sich zu einer Frage eine Meinung zu bilden (oder sie jemandem abzuschauen) und sie durch Handerheben oder eine handschriftliche Antwort auf dem Stimmzettel zu bezeugen.

Und Voting? Es mag im Prinzip dasselbe sein, einfach durch einen Klick in einem elektronischen Gerät. Aber in der Praxis derjenigen, die es schon tun, ist es meistens die flüchtige Bekundung einer Laune, Daumen-Rauf oder -Runter zu einem Facebook-Eintrag, rasch hingeklickt zwischen einem Snapchat-Schnappschuss und sonst einem Chat, der auch eher ein Geschnappe als ein Gespräch ist. Oder es ist die unverbindliche Teilnahme an einer Blitzumfrage, wie sie Bildschirmmedien oder ihre gedruckten Ableger gern anbieten: Soll der Trainer den XY von Anfang an einsetzen; magst du lieber Vanille oder Erdbeer?

Voting reiht sich würdig ein in all die andern englischen Wörter, die zusammen mit den modernen Kommunikationsformen zu uns gekommen sind. Sie alle haben im Deutschen den Vorteil, dass dann gleich klar ist, welche Tätigkeit gemeint ist: die elektronische eben. Auf Englisch muss man klarmachen, ob man «by mail» etwas aus Papier oder etwas auf dem Bildschirm will. Und eine Abstimmung ist immer «a vote», wenn nötig mit Zusatz über die Methode; «a voting» ist ungebräuchlich. Firmen, die ihren Aktionären elektronische Stimmabgabe ermöglichen, reden dabei ganz seriös von Abstimmung, nicht etwa von Voting.

Über die Kommunikation hinaus haben englische Wörter bei uns oft die Signalwirkung, dass Kommerz im Spiel ist. Ein Sale ist nicht einfach ein Verkauf, sondern ein forcierter; wenn Kids Fun haben, ist damit mehr Geld zu verdienen, als wenn Kinder sich vergnügen. Wenn sie oder Erwachsene gamen (für Ungeübte: sprich «ge-imen»), zahlen sie dafür zwar möglicherweise kein Geld, aber wahrscheinlich etwas in der Währung des Internet-Zeitalters: Information – und sei es nur die, dass sie dieses Spiel abgerufen haben. Wer schon heute votet, zahlt ebenso. Wer es künftig in Staatsangelegenheiten tut, soll davor geschützt werden, dass Unbefugte seine Stimme zählen und registrieren können, und gar niemand soll erfahren, wie jemandes individuelle Stimme gelautet hat.

Die Gefahr, dass es trotzdem jemand erfährt, ist dabei nicht einmal die grösste, die E-Voting mit sich bringt; sie lässt sich mit üblichem Computerschutz einigermassen bannen. Dass statt des eigenen Computers jener bei der Wahlbehörde gehackt («gehäckt») wird, sollte ja auch nicht passieren – und doch kommt derlei immer wieder vor. Beim E-Voting hat die Bezeichnung zwar keinen Einfluss auf die Sicherheit, aber sie erinnert daran, dass elektronischen System nicht restlos zu trauen ist. Das Vertrauen indessen, dass bei Wahlen und Abstimmungen alles mit rechten Dingen zugeht, ist für die Demokratie zentral: Dann wird das Resultat allgemein anerkannt, auch wenn man es für noch so schlecht hält.

Diese Legitimität ist auch wichtiger als die Stimmbeteiligung. Ein beliebtes Argument für E-Voting lautet, es entspreche der Art, wie «die Jungen» heute kommunizierten und sich informierten, und daher werde es die Stimmbeteiligung erhöhen. Die Schwelle vom Bildschirm zum Stimmzettel ist aber ohnehin minim, und wer nur deshalb abstimmt, weil ihm Griffel und Briefeinwurf erspart bleiben, hat sich wahrscheinlich auch nicht die Mühe genommen, die Vorlage recht anzuschauen. Stimmbeteiligung in Ehren, aber wenn sie zur Klickrate verkommt, ist damit der Demokratie nicht gedient. E-Voting könnte politischen Rattenfängern dazu verhelfen, dass angestachelte Wutbürger als Votebürger die andern überstimmen.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)