«Der Bund», 7. 9. 2018

Von der Wahrheit in der Weinsprache

«Geschmack nach Gewürzen, Tabak, Kohl, Paprika und Zwiebelschnitzen; wahrnehmbare Stallnoten wie Pferdeschweiss.» Stünde diese Beschreibung nicht im Verriss eines (trotzdem als «genügend» eingestuften) Merlots – man käme höchstens durch die Wildheit der Kombination auf die Idee, hier beschreibe jemand einen Wein. Wer sich zur Aufgabe gemacht hat, Wein in Worte zu fassen, braucht nicht für Spott zu sorgen: Für abschätzige Sprachkolumnen ist das ein beliebtes Thema. Doch damit tut man der Weinbeschreibzunft Unrecht, wie jetzt eine niederländische Doktorarbeit darlegt.

Der Sprachpsychologe Ilja Croijmans hat, wie er der Zeitschrift «Onze Taal» (Unsere Sprache) erzählt, mit Vergleichstests festgestellt, «dass Weinexperten Gerüche und Geschmäcker informativer und konsequenter beschreiben als Laien». Sie stimmen öfter miteinander überein und ziehen häufiger Vergleiche bei. Biologie und Sprache zwingen sie dazu: Abgesehen von süss, sauer, bitter und salzig (sowie dem «glutamatigen» umami, das ein japanischer Forscher beigetragen hat) – abgesehen von diesen fünf laufen alle Geschmacksangaben über den Geruchssinn, und der kennt kaum eigenständige Bezeichnungen, jedenfalls in europäischen Sprachen. Im Deutschen (und im Niederländischen) kann man allenfalls «muffig» so einordnen, falls nicht doch Muff (Moder) zuerst kam.

Unter einem muffigen Wein kann man sich etwas vorstellen, auch wenn man lieber nicht möchte und nicht sicher ist, ob man diese Beschreibung gleich versteht wie ihr Schöpfer. Ähnlich verhält es sich mit den gar nicht so seltenen Stallaromen oder dem – durchaus fachmännischen – «nassen Hund», wogegen trockenes Leder einem Wein zum Lob gereichen kann. Neben den naheliegenden Beeren und Früchten werden auch oft Holzarten beigezogen; sogar «Unterholznoten» kommen vor. Darin mag der geübte Laie einen Gout erkennen, aber «Appassimento-Aromen» werden die meisten nachschauen müssen (vor dem Pressen etwas ausgedörrte Trauben). Für das Gefühl im Mund liegen Erfahrungen des Tastsinns nahe: weich, mollig, samtig, ruppig, spröde, schroff. Bei den Farben kommen nicht nur sichtbare zum Zug: Auch Rotweine können «grün» sein, wohl etwa so wie Möchtegern-Weinkenner hinter den Ohren.

Was Experten da von sich geben, hat Methode, wie Croijmans zeigte. Er fütterte einen Computer mit Beschreibungen bestimmter Weine und liess ihn dann aus weiteren Berichten Typ und Rebsorte des Weins raten – was «mit hoher Präzision gelungen» sei. Mussten indessen die Experten andere Geschmäcker als jene von Wein in Worte fassen, so waren die Kostproben nicht besser zu identifizieren, als wenn Laien sie beschrieben. Und Kaffee-Experten gelang es nicht einmal für Kaffee, derart präzise und übereinstimmende Beschreibungen zu finden, dass gute Rückschlüsse auf die Sorten möglich wurden.

Der Doktorand kam zum Befund, Übung mache auch beim Weinbeschreiben den Meister; Kaffeetester müssten eben die Extrakte oft nur auswählen, aber nicht mit Worten charakterisieren. Allerdings kommt mir der Verdacht, vielleicht habe hier die Übung mehr mit dem Lesen als mit dem Schreiben zu tun: Denn wenn man den Kollegen abschreibt, kommt wohl noch leichter ein sortentypisches Vokabular zustande, als wenn man das eigene Geschmackserlebnis direkt in Worte fassen will. Der Leserschaft ist mit einer nicht so individuellen Zunftsprache sogar besser gedient: Sie kann, wie der Computer, daraus lernen.

Und so können standardisierte Vergleichswörter für Weingeschmäcker unsere an sich geruchsarme Sprache bereichern. Völker, die zum Überleben auf ihren Geruchssinn angewiesen sind, haben uns da etwas voraus: Croijmans’ Kollegin Asifa Majid hat in Südostasien Sprachen mit etwa zwölf abstrakten Wörtern für Gerüche gefunden – aber nur wer noch als Jäger und Sammler lebte, konnte sie zuverlässig zuordnen.

© Daniel Goldstein (sprachlust.ch)